Wer sind Valloton
und Valloton?

Valloton und Valloton, die nach aktuellem Kenntnisstand keinerlei verwandtschaftliche Verbindungen zueinander haben, lernten sich zufällig aufgrund ihrer Namensgleichheit in einer Hotellobby in Triest kennen. Beide standen an der Rezeption, der eine checkte ein, der andere aus. Sie kamen ins Gespräch, waren sich auf Anhieb sympathisch und unterhielten sich die zwei verbleibenden Stunden vor der Abreise des einen angeregt in der Hotelbar bei einer Flasche Gobillard & Fills Blanc de noir („Ich kenne nicht viele sympathische Menschen meines Namens. Das sollten wir feiern, meinen Sie nicht?“).
Man blieb in Verbindung, traf sich gelegentlich, blieb bis zum heutigen Tage beim Sie und kam überein, es auch weiterhin zu bleiben. Man diskutierte, respektierte den Standpunkt des anderen und schätzte dessen Meinung. Vor allem aber inspirierte man sich und behielt über die Jahre eine nicht nachlassende Neugier aufeinander.

Lorenz O. Valloton, 34

Das O. steht für Otto. Freunde nennen ihn in Abwandlung seines zweiten Vornamens Otis, und wer dabei an ein Unternehmen denkt, das Aufzüge herstellt, liegt richtig. Otis konnte im Kindesalter nicht genug davon bekommen, mit dem einzigen Aufzug weit und breit im einzigen Hochhaus weit und breit auf und ab zu fahren. Vom Erdgeschoss hinauf in den 13. und letzten Stock und wieder hinunter. Er und seine Eltern wohnten gar nicht in diesem Haus, aber es war unmöglich ihm klarzumachen, dass sie als hausfremde Personen, so nannte man das, dort gar nichts zu suchen hätten und auch gar nicht dazu berechtigt wären, den Aufzug zu benutzen. Aber es hielt sie auch niemand davon ab. Zutrittskontrollen, Chipkarten et cetera gab es damals nicht. Die Haustür stand in der Regel weit offen, war aber jedenfalls unverschlossen, der Aufzug für jedermann frei zugänglich. Die Hausbewohner kannten Otis schon und lachten. Sie hielten ihm die Tür auf und fragten: Na, willst du eine Runde mitfahren? Er gehörte irgendwie schon zum Haus. Seiner Mutter blieben die Begegnungen mit Hausbewohnern stets unangenehm und ein wenig peinlich. Aber es half alles nichts. Otis musste fahren.
Man scherzte später, er habe seine erste Freundin nur deshalb gehabt, weil sie in ebendiesem Hochhaus im vorletzten Stock wohnte. Bei familiären Zusammenkünften wird die Geschichte immer wieder ausgepackt. Otis verzieht dann das Gesicht, schüttelt den Kopf und geht nach draußen um eine Zigarette zu rauchen. Eine unaufgearbeitete Geschichte des exzessiven Aufzugfahrens. 

Lorenz O. „Otis“ Vallonton lebt heute in Wien und München. Er arbeitet als freier Journalist und nimmt im Zweifelsfall gerne die Treppen.

Friedrich G. Valloton, 52

Das G. Steht für Georg, das auf den griechischen Namen Γεώργιος Geōrgios zurückgeht, der wiederum von dem aus den Elementen γῆ „Erde“ und ἔργον érgon „Werk, Arbeit“ zusammengesetzten Wort γεωργός geōrgós abgeleitet wird und Bauer beziehungsweise Erd(be)arbeiter bedeutet. Wie ein Bauer sieht Friedrich Georg Valloton in seinem maßgeschneiderten 3-teiligen Anzug von Henry Poole in London weiß Gott nicht aus. Auch dann nicht, wenn er auf Anzug verzichtet und ganz informell in hellen Denims, olivgrünem T-Shirt und inidigofarbenem Chore Jacket erscheint. Und doch, er grabe gerne in der Erde, auf einem kleinen, südlichen Stück Land, wo ganzjährig Leguminosae, Solanaceae, Oleaceae und Rutaceae aller Art gedeihen. Wo sich dieser Ort befindet, wissen nur er, seine Frau und ihre jeweiligen Kinder, die einen feierlichen Eid ablegen mussten, niemandem und unter keinen Umständen davon zu erzählen.
Familie und Freunde nennen ihn Fritz. Die Leute glaubten, er sei ein wohlhabender Mann, sagt er, aber das sei natürlich falsch aus zweierlei Gründen. Zum Einen verfüge er über kein nennenswertes familiäres Vermögen, von dem er zehren könnte, zum Anderen arbeite er eher ungern, was dem Bezug eines klassischen Erwerbseinkommens im Wege steht. Er sei aber nicht faul, im Gegenteil, er tue eigentlich ständig etwas. Er weigere sich aber, kindisch wie er sei, sein Tun als Arbeit zu bezeichnen. Das klinge nach Transpiration, er aber lebe von der Inspiration. Seine Aufgabe sähe er darin, ein wenig Erhebendes in das Leben der Menschen zu bringen. Und er bestehe darauf, dass dies ebenso zu entlohnen sei wie das Erstellen einer Steuererklärung, die notarielle Beratung in einer Erbangelegenheit oder eine fachärztliche Konsultation.
Es scheint irgendwie zu funktionieren.

Friedrich G. Valloton lebt heute in Zürich, Wien und auf einem kleinen, südlichen Stück Land, von wo aus man mit guten Augen das Glitzern des Meeres erahnen kann.