#03
Valloton fragt Schoditsch - Die Kamerafrage

Friedrich G. Valloton
Wie Sie wissen, sammle ich mit einer gewissen Zwanghaftigkeit Bilder aus meinem täglichen Leben und rechtfertige dies mit den Kategorisierungen Notizen für kommende Projekte oder Dokumentation des Gegenwärtigen. Ich schätze das Werkzeug ebenso wie das Resultat, und das Resultat meines Tuns kann die Güte meines Werkzeuges in tausend Jahren nicht erreichen.

Rainer Schoditsch
Weil Sie mit einer Leica fotografieren.

Friedrich G. Valloton
So ist es.

Rainer Schoditsch
Eine M natürlich. Eine digitale Monochrom wie ich bemerkte bei unserem Spaziergang kürzlich. Sie haben beinahe versucht sie zu verstecken vor mir, wenn ich das sagen darf.

Friedrich G. Valloton
Es war mir ein wenig peinlich offen gesagt. Es ist, als würde ein Klavierschüler im zweiten Semester einen Bösendorfer Konzertflügel kaufen um daran zu üben. Der arme Flügel, die arme M.

Rainer Schoditsch
Die M versieht ihren Dienst für jeden, der ihren Preis zu zahlen bereit ist. Ich sehe nichts Verwerfliches daran.

Friedrich G. Valloton
Der Grund warum ich sie nicht gleich verschämt in die Tasche gepackt habe war, dass Sie selbst eine erstaunlich kompakte Hasselblad am Schulterriemen trugen. Das ließ mich ein wenig Mut fassen. Wären Sie ohne Kamera erschienen oder - schlimmer noch - bloß mit einer, sagen wir, Sony, ich wäre im Boden versunken.

Rainer Schoditsch
Früher haben mich Freunde und Bekannte oft gefragt, welche Kamera sie kaufen sollten, wenn Sie beabsichtigten sich mit Fotografie zu beschäftigen und „gute“ Fotos machen zu können. Ich riet allen dasselbe: eine gebrauchte Spiegelfreflex mit Vollformatsensor der vorletzten oder vorvorletzten Generation und dazu eine lichtstarke Festbrennweite. Ein 35er oder ein 50er für die Mutigeren. Nach ein paar Tagen kamen Sie zu mir und erzählten, Sie hätten sich nun ein Kit im Rahmen einer tollen Aktion gekauft, bestehend aus einer  Einsteiger-Spiegelreflex mit APS-Sensor und einem - extrem lichtschwachen - Zoomobjektiv, das zum angebotenen Kit gehörte. In Wien nannten Fotografen solche Objektive früher Aschenbecher in Anspielung auf ihre völlig unzureichende Abbildungsqualität. Sie kauften also das genaue Gegenteil dessen, was ich Ihnen empfohlen hatte und erwarteten dann von mir, dass ich sagte: Ja, eh toll. 

Friedrich G. Valloton
Mit einer M hätte ich Ihre Erwartungen demnach erfüllt.

Rainer Schoditsch
Durchaus, mein Lieber. Es ist zwar eine Messsucherkamera und keine Spiegelreflex, aber das lassen wir durchgehen.

Friedrich G. Valloton
Ich denke, Sie wissen, warum es für mich eine Leica sein musste.

Rainer Schoditsch
Ja, ich glaube schon. Sie hat Geschichte, sie ist edel, sie ist schön, sie ist teuer.

Friedrich G. Valloton
Und relativ diskret.

Rainer Schoditsch
Früher bestimmt. Wenn Sie heute möglichst unauffällig fotografieren wollen, dann tun Sie am besten das, was alle tun. Sie halten Ihr Smartphone demonstrativ mit beiden Händen einen halben Meter vor Ihr Gesicht und fotografieren ungeniert alles in Grund und Boden. Nobody cares. Halten Se dagegen Ihre M ans Auge, sind Sie suspekt.

Friedrich G. Valloton
Ich fürchte, Sie haben recht.

Rainer Schoditsch
Wenn Sie heute Notizen machen wollen oder ein paar hübsche Fotos auf Reisen, sind Sie mit ihrem iPhone neuerer Bauart ausreichend versorgt. Es gibt in Wahrheit keinen Grund mehr eine richtige Kamera mit sich zu führen. Außer natürlich man ist ein Feingeist und hat ein Sensorium für das Sublime. Dann darf, nein, dann muss es mehr sein.

Friedrich G. Valloton
Meine M Monochrom mit dem 35er Summicron findet also Gefallen bei Ihnen?

Rainer Schoditsch
Sie ist wunderschön. Man will sie ja unentwegt liebkosen eigentlich.

Friedrich G. Valloton
Tatsächlich nehme ich sie immer wieder auch zuhause in die Hand, wenn sie so daliegt auf meinem Schreibtisch,  drehe am Programmwahlschalter, am Blendenring, am Fokusring und betätige den Auslöser. Bloß weil sie der Hand wie dem Auge gleichermaßen schmeichelt.

Rainer Schoditsch
Wem erzählen Sie das?

Friedrich G. Valloton
Es geht also nicht nur ums Bild, sondern auch um das Werkzeug?

Rainer Schoditsch
In der Fotografie, oder benennen wir es ganz deutlich, in der Kunst geht es um das Bild. Das Bild, vor dem dann im Idealfall jemand ratlos steht und nicht so recht in Worte fassen kann, was so wunderbar daran ist. Für den Künstler, hier den Fotografen, gibt es im Hintergrund natürlich immer auch ein erotisches Verhältnis zu seinem Werkzeug im Sinne seiner sinnlich-ästhetischen Anziehungskraft, die zweifellos besteht.

Friedrich G. Valloton
Womit wir bei der Kunst wären und das Gespräch über dieselbe, das inspiriert, beflügelt und ermuntert, sofern man es mit einem geeigneten Gesprächspartner führt, während das Gespräch über die Werkzeuge zur Herstellung der Kunst, stets nach kurzer Zeit zuverlässig ermüdet.

Rainer Schoditsch
Wohl wahr, mein Lieber Valloton, wohl wahr!

Friedrich G. Valloton
Lassen Sie mich dennoch kurz auf Ihre Empfehlung zurückkommen. Eine Kamera also und eine Festbrennweite. Warum?

Rainer Schoditsch
Weil man damit gefordert ist und Gestaltungsspielraum bekommt. Wer auf seinem Platz steht und stumpfsinnig am Zoomring dreht, macht keine guten Bilder. Mit einer Festbrennweite muss man - verzeihen Sie - seinen Arsch bewegen und um das Bild kämpfen. Ohne Kampf kein brauchbares Bild. Ohne Licht übrigens auch nicht, aber das ist ein anderes, noch viel größeres Thema.

Friedrich G. Valloton
Der Amateur fotografiert im Licht, das er vorfindet, der Profi im Licht, das er macht?

Rainer Schoditsch
Ich würde sagen, der Amateur ausschließlich in Ersterem, der Profi in beidem. Aber wenn es um bezahlte Arbeit geht, vor allem in Letztgenanntem, also im selbst erzeugten Licht.

Friedrich G. Valloton
Kann man sagen, in der Kunst herrscht das vorgefundene Licht, in der professionellen, also kommerziellen Fotografie, das erzeugte, inszenierte Licht?

Rainer Schoditsch
Ja, das kann man so sagen. Es gibt Ausnahmen, aber im Grunde ist es genau so.

Friedrich G. Valloton
Können Sie ein Beispiel geben?

Rainer Schoditsch
Nehmen wir an, Sie sollen die Küche eines hochpreisigen Herstellers in zeitgemäßer Architektur für eine Werbekampagne fotografieren. Ich kann Ihnen versichern, völlig egal in welchem Ambiente das Shooting stattfindet, das natürliche, vorhandene Licht wird zu keinem Zeitpunkt auch nur annähernd jene Ergebnisse ermöglichen, die Ihr Auftraggeber oder auch sie selbst erwarten. Sie müssen die Lichtsituation immer, wirklich immer selbst kreieren - mit vielen künstlichen Lichtquellen, also mit Blitzlichtquellen, mit Dauerlichtquellen wie LEDs, mit Lichtformern, die eine entsprechende Modulation des Lichts ermöglichen et cetera. Der Aufwand ist in der Regel enorm. Und das Ziel ist stets, dass es aussehen möge, als wäre alles ganz natürlich und geradezu zufällig. Das ist das Schwierigste überhaupt. Welche Kamera oder welches Objektiv Sie in einem solchen Setting verwenden, interessiert übrigens niemanden. Am Ende muss das Ergebnis den Erwartungen entsprechen oder diese übertreffen. Darum geht es und um nichts sonst.

Friedrich G. Valloton
Besser also man fotografiert bloß zum Vergnügen?

Rainer Schoditsch
Wenn Sie ein ausreichendes Einkommen aus anderen Quellen beziehen - auf jeden Fall!

Friedrich G. Valloton
Ein letzter Satz zur schwarzen, schwedischen Schönheit an ihrem Ledergurt.

Rainer Schoditsch
Die X2D. Eine spiegellose 100 Megapixel Kamera, hier kombiniert mit einer 55mm Festbrennweite. Lassen Sie es mich so sagen: Wer damit nicht die besten Bilder der Welt macht, der wird sie auch in Zukunft - mit welcher Kamera auch immer - nicht mehr machen. Sie sehen, ich bin gefordert.