Ungefähre Landschaft*
2023

Die Serpentara (Schlangenhain) ist ein Steineichenwäldchen oberhalb der Gemeinde Olevano Romano (10 Kilometer nördlich von Paliano), das den Malern der Gruppe der Deutschrömer als heiliger Eichenhain galt. Der Eichenwuchs auf kahlen Felsen wurde zum bevorzugten und am häufigsten studierten Waldmodell der Romantiker. Joseph Anton Koch schuf während seines Aufenthaltes in Paliano mehrere heroische Landschaftsbilder. Nicht das genaue, topographische Festhalten stand im Vordergrund, vielmehr eine gewisse Heroisierung mit unverkennbar idealisierender und mythisierender Absicht.


Die Heroisierung oder Romantisierung der Landschaft um Paliano oder insbesondere um Olevano Romano durch die Maler der Gruppe der Deutschrömer fällt heute schon deutlich schwerer. Zu schwerwiegend sind die allgegenwärtigen Eingriffe.
Besucht man etwa das nahegelegene, industriell geprägte Colleferro, mit seinem Bahnhof, der - sofern nicht gerade Schienenersatzverkehr herrscht - schnelle Verbindungen nach Rom und Neapel verspricht, mit seiner Chemie- und Zementindustrie, weichen die Vorstellungen einer südlichen Idylle schnell der wenig einladenden Realität.

Unweit des Autobahnanschlusses In Richtung Rom gen Norden und Neapel gen Süden glitzert im Abendlicht verheißungsvoll ein Monument der Neuzeit. Ein Prachtbau aus einer Jahrtausende alten Geschichte des Latiums? Mitnichten. Vielmehr ein bauliches Dokument der Gegenwart, das die sofortige Verfügbarkeit aller Güter dieser Welt verspricht.

FCO2 ist der interne Code für eines der größten italienischen Warehousing und Fullfillment Center des US-Onlinegiganten Amazon, das die Metropolitan-Region Rom mit allem versorgt, was der Konsument der Gegenwart morgen oder besser heute noch zu haben wünscht. Mit einem Gebäudevolumen von über 1,4 Millionen Kubikmetern breitet es sich auf einer Grundfläche von über 220.000 Quadratmetern aus.

Und dann doch wieder: südliche Herrlichkeit! Man fahre in das unweit gelegene Städtchen Anagni - cittá dei papi, Stadt der Päpste, Bischofssitz seit 1500 Jahren. Herrliche Lage mit Traumblick über das Tal, freundliche Menschen, schmale Gassen, kleine Geschäfte, emsiges Treiben, eine Atmosphäre großer Heiterkeit und wohlwollender Gelassenheit. Man trete früh nachmittags auf die zentrale Piazza Cavour, nehme Platz an einem der schattigen Tische der Pasticceria Colone di Colone. Gespräche plätschern, Tassen und Teller klimpern leise im warmen Wind, Menschen kommen, Menschen gehen. Eile gibt es andernorts. Ein älterer Herr, der aus seinem Auto steigt und sich als Dorfarzt entpuppt, grüßt uns, die ihm gänzlich Unbekannten, mit ausgesuchter Höflichkeit und Freundlichkeit und verschwindet im schattigen Hauseingang. Ja, hier lässt es sich sein. Hier lässt man sein.

*Die Arbeiten der Serie Ungefähre Landschaft in und um Paliano entstanden im Rahmen eines Artist-in-Residence Aufenthaltes ermöglicht durch die Kulturabteilung des Landes Burgenland.

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